Kontext
Der Kontext sind Studiengänge wie Ingenieurwissenschaften, in denen zunächst in Grundlagenfächern eine theoretische Basis für das Verständnis von Problemen aus der Praxis gelegt werden soll. Dabei stehen die Fachinhalte des jeweiligen Grundlagenfachs zunächst im Vordergrund. Die Einordnung in „das große Ganze“ und der Zusammenhang mit praxisbezogenen Aufgabenstellungen lässt sich für Studierende dabei oft noch nicht erkennen. Die Motivation der Studierenden für das Studienfach in dieser Studienphase zu erhalten ist für Lehrende eine große Herausforderung.
Problem
Studierende haben regelmäßig Schwierigkeiten, die Inhalte eines ingenieurwissenschaftlichen Grundlagenfachs zu erfassen und die Bedeutung der vermittelten Problemlösungsmethodik für eine Vielzahl von Problemstellungen im späteren Beruf zu erkennen.
Wirkkräfte
Erwartungen der Studierenden
Studierende nehmen Grundlagenfächer häufig als rein theoretische und wenig praxisbezogene Fächer wahr. Die konkrete Relevanz der Inhalte und der Systematik für reale Probleme und Anwendungen werden häufig nicht erkannt. Gemeinsam mit einem oft unzureichenden Verständnis grundlegender mathematischer oder physikalischer Konzepte führt das zu einem Lernprozess, der sich auf das Bestehen der Prüfungsleistung konzentriert. Der Fokus auf die eigentliche Bedeutung für die Lösung von komplexen und praxisrelevanten Problemstellungen geht dabei veloren.
Erwartungen der Lehrenden
Dies steht im Widerspruch zu dem Anspruch der Lehrenden, der darin besteht, neben den Fachinhalten das Verständnis und damit die Anwendung auf praxisorientierte Problemstellungen zu unterstützen, um die Studierenden bestmöglich auf die Anforderungen des weiteren Studienverlaufs und des späteren Berufslebens vorzubereiten.
Lösung
Mithilfe von Storytelling in der Lehre, also einem narrativen Ansatz, lernen die Studierenden die fachlichen und eher theoretisch wirkenden Inhalte eines ingenieurwissenschaftlichen Grundlagenfachs anhand von konkreten, anwendungsbezogenen Geschichten und Beispielszenarien. Diese sind eingebettet in eine übergeordnete „Story“, die sich semesterbegleitend durch die Veranstaltungen zieht. Durch dieses „Story-Learning“ wird zu jedem Thema ein aktueller Alltags- oder Berufsbezug hergestellt; der Lernprozess wird situativ verankert.
Details der Lösung
Story-Learning in einem ingenieurwissenschaftlichen Grundlagenfach wird hier am Beispiel des Grundlagenfachs Thermodynamik veranschaulicht.
Lehrende entwickeln eine inhaltlich passende Story oder es werden Geschichten verwendet, die z.B. als OER-Material bereits vorliegen. Die Story sollte einen möglichst großen Teil des Modulhandbuchs abbilden können.
Für die Thermodynamik wird folgende Story rund um die Protagonisten Jana und Amin verwendet: Jana und Amin (beide tätig in Ingenieurberufen), wollen ein gekauftes Haus energetisch verbessern und stellen daher Überlegungen zum Thema Energie insgesamt an. In diesen Kontext können bereits sehr viele Themen eingebettet werden wie bspw. Wärmeabgabe des Hauses an die Umgebung, verschiedene Varianten von Heizungssystemen, Stromversorgung, Haushaltsgeräte, Kreisprozess anhand von Kühlschrank und Wärmepumpe, etc..
Zur Integration weiterer Themen wird die Story erweitert auf die beruflichen Anforderungen; auch hier treten energietechnische Problemstellungen auf; bsp. wenn das Unternehmen, in dem Amin arbeitet, die Stromversorgung über eine Gasturbine realisieren möchte.
Die Studierenden sollen die Probleme der beiden diskutieren und in Kleingruppen eine Lösung finden. Die Lehrenden ggf. mit Unterstützung von Tutor:innen diskutieren den Lösungsweg in den Kleingruppen.
Die Aufgaben in den Veranstaltungen und die Hausaufgaben sowie einige digitale Übungsaufgaben sind Teil der „Story“. Darüber hinaus gibt es noch zusätzliche Übungsaufgaben; bspw. aus einem OER-content, die eher „klassische“ Aufgaben darstellen und zur weiteren Vertiefung der Themen dienen.
Zusätzlich zum Storytelling müssen in einem Grundlagenfach Begrifflichkeiten, Einheiten, Gesetzmäßigkeiten, etc. eingeführt werden, was sich zumeist nicht in die „Story“ integrieren lässt.
Stolpersteine:
- hoher organisatorischer Aufwand, um die „Story“ stimmig über das ganze Semester zu entwickeln und die (zumeist vorliegenden) Aufgaben entsprechend zu überarbeiten (alternativ könnte das Konzept auch für einzelne Lehrveranstaltungssitzungen entwickelt und eingesetzt werden).
- gute Kommunikation mit den Studierenden bzgl. der Besonderheiten, Anforderungen und Sinn des Lehrkonzepts
Folgen (Vorteile, Nachteile)
Vorteile:
- Studierende erkennen Bezug von theoretischen Konzepten der Thermodynamik zu alltags- und berufsbezogenen Problemen
- Vielfältige und engere Kommunikation zwischen Lehrenden/ggf. Tutor:innen und Studierenden
- Steigende Motivation der Studierenden
- Individuelle Auseinandersetzung mit Studierenden durch Diskussionen in Kleingruppen und Erläuterungen angepasst an das jeweilige Niveau der Studierenden
- Festigung von Verständnis und Berechnungswegen durch Moodle-Übungsaufgaben mit Kommentaren und Lösungswegen
- Auch Studierende mit Schwierigkeiten (fachlich, sprachlich, etc.) lassen sich durch gezielte Ansprache ermutigen.
Nachteile:
- Einige Studierende können sich nicht oder schlecht auf das Lehrkonzept einlassen und stehen den kommunikativen Anteilen eher kritisch gegenüber.
- Einige Studierende lassen sich nicht ermutigen und ziehen sich eher zurück.
- Bei der Durchführung in Seminarveranstaltungen ist die Gruppengröße begrenzt.
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